Wie kam es zur Verfemung der Schriftsteller
Es ist der 10. Mai 1933, kurz nach Mitternacht. Auf dem Berliner Opernplatz wird ein Spektakel veranstaltet. Man sieht den Feuerschein schon von Weitem. Zehn, zwölf Meter hoch schlagen die Flammen, die Organisatoren haben extra eine pyrotechnische Firma mit den Vorbereitungen beauftragt. Acht große Holzstapel wurden aus meterlangen Holzscheiten errichtet, vorher hatte man Sand ausgestreut, damit das Pflaster keinen Schaden nimmt. Um 21.30 Uhr beginnt es zu regnen, was unter den Zeremonienmeistern des Feuers zu leichter Panik führt. Immer wieder müssen sie die Kanten der Holzstapel trocken reiben und auch die Holzscheite, die das Feuer am Brennen halten sollen, solange die Bücher noch nicht zur Verfügung stehen, werden immer wieder mühsam getrocknet. Trotz des Regens sind viele tausend Menschen gekommen. Die Stimmung erinnert an ein Volksfest, mit Würstchenverkauf und Freude am Feuer in der Dunkelheit.
Was war das für eine Nacht, in der im Deutschen Reich die Bücher brannten?
In der in nahezu jeder deutschen Universitätsstadt die Feuer wie ein Fanal weithin sichtbar leuchteten. Wie konnte es sein, dass in einem zivilisierten Land im 20. Jahrhundert Studenten in ganz Deutschland freiwillig und freudig nachts auf die Straße liefen und die Bücher ihrer besten Schriftsteller ins Feuer warfen? Die Bücher von Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque und vielen, vielen anderen.
Die neue Regierung war gerade einmal drei Monate im Amt. Und die Deutschen stürmten geradezu in die NSDAP: Über anderthalb Millionen Neuzugänge hatte die Partei in diesen drei Monaten zu verzeichnen, die 850.000 Altmitglieder gerieten in Windeseile in die Minderheit, so dass am 1. Mai 1933 sogar ein vorläufiger Aufnahmestopp verhängt wurde.
Im Land herrschte Aufbruchstimmung, ein neuer Geist. Eine neue Gemeinschaft sollte entstehen und um diese entstehen zu lassen, musste zunächst einmal der Teil, der nicht dazugehören sollte, aussortiert werden – für alle Welt sichtbar, leuchtend in der Nacht.
Die Verbrennung der Bücher in jener Nacht ging nicht auf Anweisungen oder Planungen der neuen Regierung zurück. Es war keine Initiative des Propagandaministers Joseph Goebbels oder Adolf Hitlers oder eines anderen.
Die organisierte „Deutsche Studentenschaft“ hatte die Idee und übernahm auch die perfekte Planung jener Nacht. An den deutschen Hochschulen gab es keinen Protest von den Studenten gegen die Aktion und so gut wie keinen von den Professoren. Einige wenige sorgten sich um den Bestand ihrer Universitätsbibliotheken. In diesen Fällen einigte man sich dann meist so, dass auch „das undeutsche Buch“ „zu Forschungszwecken“ in der Bibliothek verbleiben durfte.
Doch Goebbels selbst, den die Studenten schon im ersten Entwurf ihres Rundschreibens von Anfang April als Festredner genannt hatten, ließ erst am 9. Mai, als sich ein offenbar selbst von ihm nicht für möglich gehaltener Erfolg der Aktion abzeichnete, seinen Adjutanten an die Studenten schreiben: „Wie Ihnen auf Ihr Schreiben vom 3. Mai heute bereits telefonisch mitgeteilt wurde, ist der Herr Minister bereit, am 10. Mai um 24 Uhr, auf dem Opernplatz Unter den Linden, die Feuerrede zu halten.“
Die Vorbereitungen waren einfach zu gut gelaufen. Damals, in jener Nacht im Regen auf dem Opernplatz in Berlin, stand er im hellen Mantel auf einem kleinen Podest unter Scheinwerfern und blickte auf die Flammen, auf die Studenten, die SA-Männer, das erwartungsvoll herumstehende Publikum. Er verkündete das Ende des „Zeitalters eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ und den „Durchbruch der deutschen Revolution“, die dem deutschen Weg die Gassen freigemacht habe. Dann rief er: „Als am 30. Januar dieses Jahres die nationalsozialistische Bewegung die Macht eroberte, da konnten wir noch nicht wissen, dass so schnell und so radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte.“
In der Tat, selbst Joseph Goebbels hatte nicht glauben können, dass die Deutschen schon so weit waren. Dass sie bereitwillig zusahen, wie die Bücher ihrer besten Autoren den Flammen übergeben wurden. Es war die Nacht, in der die deutsche Literatur für alle Welt sichtbar aus dem Land vertrieben, aus dem Gedächtnis des Landes, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgeschieden werden sollte.
Jene Nacht ging wie ein Riss durch das Leben der 131 Autoren, die auf der ersten „Liste des undeutschen Geistes“ standen. Ein Riss durch ihr Leben, durch ihr Werk. Ein Riss auch durch die Geschichte dieses Landes.
Der elsässische Autor René Schickele, der auf der Liste jenes Abends noch gar nicht stand, dessen Bücher erst später aus den Bibliotheken des Landes entfernt werden sollten, schrieb dann im Exil einmal: „Wenn es Goebbels gelingt, unsere Namen von den deutschen Tafeln zu löschen, sind wir tot. Gespenster in der Diaspora, in der wasserarmen Provinz. Schon die nächste Generation wird nichts mehr von uns wissen.“
Es war Goebbels' Ziel. Es war das Ziel all derjenigen, die in jener Nacht im Mai die Bücher in die Flammen warfen.
SIE HABEN ES NICHT ERREICHT!
In der Tat, selbst Joseph Goebbels hatte nicht glauben können, dass die Deutschen schon so weit waren. Dass sie bereitwillig zusahen, wie die Bücher ihrer besten Autoren den Flammen übergeben wurden. Es war die Nacht, in der die deutsche Literatur für alle Welt sichtbar aus dem Land vertrieben, aus dem Gedächtnis des Landes, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgeschieden werden sollte.
Jene Nacht ging wie ein Riss durch das Leben der 131 Autoren, die auf der ersten „Liste des undeutschen Geistes“ standen. Ein Riss durch ihr Leben, durch ihr Werk. Ein Riss auch durch die Geschichte dieses Landes.
Der elsässische Autor René Schickele, der auf der Liste jenes Abends noch gar nicht stand, dessen Bücher erst später aus den Bibliotheken des Landes entfernt werden sollten, schrieb dann im Exil einmal: „Wenn es Goebbels gelingt, unsere Namen von den deutschen Tafeln zu löschen, sind wir tot. Gespenster in der Diaspora, in der wasserarmen Provinz. Schon die nächste Generation wird nichts mehr von uns wissen.“
Es war Goebbels' Ziel. Es war das Ziel all derjenigen, die in jener Nacht im Mai die Bücher in die Flammen warfen.
SIE HABEN ES NICHT ERREICHT!